Namaganda, 14. 11. 2019 (English) Es ist immer noch unser erster Tag in Uganda. Wir sind seit etwa 30 Stunden ununterbrochen wach, und die Eindrücke prasseln unvermindert auf uns ein. Nach der Abzweigung von der Hauptstraße wird der Weg sehr schmal und schlecht. Rechts und links des Weges sehen wir ab und zu kleine Häuser und Hütten. Am Straßenrand grast eine Kuh. Die kleinen Hütten sehen tatsäch so aus wie in meinem uralten Kinderbuch gezeichnet, mit Lehmwänden und spitzem Strohdach. Für mich ist es ein bisschen so, als würde ich in eine Geschichte aus meiner Kindheit reisen.
Und dann sind wir plötzlich da, am Visionary Learning Centre. Wir hätten eigentlich wissen können, was nun kommt. Schließlich sind wir nicht die ersten Besucher dort, und wir haben sogar Videos von früheren Begrüßungen gesehen. Aber das mit dem Denken funktioniert gerade nicht wirklich. Alle Kinder und Lehrer warten schon auf uns und begrüßen uns singend und tanzend – wir sind komplett überwältigt. Es schießen uns Tränen der Rührung in die Augen, und wir sind kurz davor, hemmungslos loszuheulen. Etliche Kinder und Lehrer drücken uns herzlich zur Begrüßung. Wir wissen nicht, was wir sagen sollen, stehen erschöpft und etwas bedröppelt in der Gegend rum und stammeln ein paar Worte, die überhaupt nicht ausdrücken, was wir gerade fühlen.
Unter den Kindern gibt es einige, die durchaus skeptisch die Neuankömmlinge beäugen. Ein paar der Jüngsten haben sogar richtig Angst vor den seltsamen Fremden und wollen keinesfalls näher kommen. Dazu gehört auch unser Patenkind Habiba. Für uns ist das völlig in Ordnung, die Kleine soll sich erstmal an uns gewöhnen. Die wird schon von allein kommen, wenn sie möchte. Und wenn nicht, dann ist das auch okay. Doch die anderen Kinder haben kein Einsehen und versuchen (auch in den nächsten Tagen immer wieder) trotz unserer Proteste die "Familienzusammenführung" herbeizuleiten.
Ohne Pause geht es nun ins Schul-Office, wo sich jeder von uns im offiziellen Besuchsbuch verewigen soll. In der Bibliothek, die für alle Kinder jederzeit zugänglich ist, findet Raphaela das tolle Bienenbuch, das sie Anfang des Jahres der Schule geschenkt hatte.
Kaum sind wir wieder draußen, empfangen uns die großen Kinder der diesjährigen Abschlussklasse mit einem weiteren Lied. Wieder rinnen bei uns die Tränen. Was für schöne Stimmen. Wir spüren die Wärme und Herzlichkeit, die uns die Kinder entgegen bringen.
Doch nun sollen wir erstmal unsere Sachen verstauen und wenn wir möchten uns etwas frisch machen. Keine schlechte Idee. Eddy hat mit den Kindern extra für uns (und hoffentlich weitere Gäste, die uns folgen werden) drei traditionelle Hütten gebaut. Die hatten wir schon auf Fotos gesehen, haben aber keine Vorstellung, wie die in echt aussehen. Wir sind gespannt.
Am unteren Ende des Schulgeländes gibt es hinter dem Schuppen einen abgezäunten Bereich. Dort stehen drei kleine Hütten. Wie in meinem Kinderbuch. Die Hütten haben eine niedrige Tür und keine Fenster oder andere Lüftung. Als die Tür zu unserer Hütte geöffnet wird, strömt eine heiße, feuchte Luft heraus. Drinnen haben wir das Gefühl, nicht atmen zu können, so stickg ist es dort. Hier sollen wir die nächsten zwei Wochen leben – das geht doch nicht!
Natürlich wissen wir, dass die Leute sich hier sehr viel Mühe gegeben haben, uns ein gutes Zuhause für die Zeit zu bereiten und uns mit viel Liebe betreuen. Unsere Hütten sehen größer und heiler aus, als die meisten, die wir auf dem Hinweg am Straßenrand gesehen haben. Wir haben ein großes, gemauertes Bett mit nagelneuer Matratze. Unser Quartier ist bestimmt besser als viele Behausungen der Einheimischen hier. Da müssen wir wenigstens eine Nacht aushalten. Dann können wir morgen Eddy sagen, dass wir mit der Unterbringung nicht klar kommen und doch ins Hotel in Kamuli ziehen müssen, auch wenn wir nicht sehr glücklich sind mit dieser Entscheidung.
Dafür sind die "Waschräume" prima. Als alte Campinghasen sind wir mit einer Schüssel und einem Kanister Wasser völlig zufrieden. Im Gegensatz zur klapprigen Wellblechkonstruktion, mit der die Kinder vorlieb nehmen müssen, ist unsere Waschgelegenheit vergleichsweise luxuriös.
Anstatt mich richtig zu waschen und umzuziehen (wofür es sicher gute Gründe gibt), bastele ich lieber unser Moskitonetz um unser Bett herum. Wohlwissend, dass ich später vielleicht gar keine Kraft mehr dafür haben werde.
Dann gibt was zu Essen. Süßkartoffeln und Kochbananen. Dazu Tee, wahlweise mit Milch oder ohne, und Wasser. Von den Kochbananen wusste ich schon, weiß aber nicht, wie die schmecken. Gekochte Bananen mag ich eigentlich gar nicht. Nur kann man hier nicht am Essen mäkeln. Bestimmt bekommen wir besseres Essen als die Kinder es sonst bekommen. Erstaunlicherweise schmecken die Bananen eher wie Kartoffeln. Ein einfaches und schmackhaftes Essen.
Frisch gestärkt folgt der nächste offizielle Teil. Wir besuchen jede Klasse der Schule, stellen und kurz vor, erfahren welche Klasse es ist und werden zur nächstem geführt. Hoffentlich fragt uns hinterher keiner ab. Wir wissen schon nicht mehr, wieviele Klassen es überhaupt am Visionary Learning Centre gibt.
Wie spät ist es eigentlich? Es müsste später Nachmittag sein, denken wir, dabei ist es erst Mittags. Wir setzen uns auf Stühle nach draußen. Neugierig kommen die Kinder auf zu uns und belagern uns. Sie möchten uns anfassen und die Hände schütteln. Da machen wir gern mit. Anschließend haben wir alle viel Spaß beim Fotografieren der Kinder und dem Zeigen der Bilder.
Dann kommt Eddy auf die Idee, Raphaelas spärliche Luganda-Kenntnisse zu testen. Gemeinsam mit den Kindern zählt sie von 1 bis 10, auf Luganda, Englisch und Deutsch. Nach einigen Wiederholungen klappt das prima.
Vielleicht beflügelt durch den spontanen Erfolg mit dem Zählen, versammelt Eddy die Kinder in einem Klassenraum zur großen Fragestunde. Wir müssen Rede und Antwort stehen zu allen möglich Fragen. Von unseren Lieblingsspeisen (ich wählte Spaghetti – nicht ohne Folgen...), über Deutschland und Europa, unserem politischen System, wer Präsident ist, was die Unterschiede im Schulsystem zwischen Deutschland und Ugand sind, bis hin zu äußerst anspruchsvollen Fragen, wie es denn zu den Unterschieden in der Lebensweise und den verschiedenen Entwicklungen in Europa und Afrika gekommen ist. Die Kinder haben wirklich tolle Fragen drauf, und wir schwitzen ordentlich in unserer Haut beim Antworten. Vieles ist gar nicht so klar, wie man zuerst denkt. Das ist eigentlich eine tolle und interessante Aktion. Nur, dass wir wie schon öfter erwähnt, bis jetzt bereits über 34 Stunden ohne Schlaf auskommen mussten und bereits heute Morgen die Birne gestrichen voll hatten von all den neuen Eindrücken.
Nach einer guten Stunde hat Eddy Erbarmen und entlässt uns zu einer Pause in unsere Hütten. Die Luft ist drinen noch nicht besser. Da draußen nicht viele Mücken aktiv sind, lassen wir die Tür auf. Wir ordnen unsere Sachen ein wenig. Viel Platz ist nicht in dem Rundbau, und es gibt keinerlei Möbel oder andere Abstellmöglichkeiten.
Nach einer Weile steht eine Abordnung der Kinder vor der Tür. Fünf Mädchen zwischen 10 und 12 haben weitere Fragen gesammelt. Die Damen nehmen auf unserem Bett Platz und löchern uns mit kniffligen Detailfragen. Ich erkläre gern und ausführlich alle Themenkomplexe. Die Kleinen sind nicht kleinzukriegen. Schließlich muss ich noch das Entstehen der Jahreszeiten erläutern. Gut, dass es im Büro einen aufblasbaren Globus gibt. Dann ist genug.
Irgendwie hat sich herumgesprochen, dass der große, alte, weiße Mann sehr gern etwas erzählt. Etwas später finden wir uns in einem der vielen Klassenräume wieder. Kinder spielen und toben um uns herum. Ein Junge hat sich das große Bienenbuch aus der Bibliothek geschnappt und hat Fragen zu Abbildungen, die er nicht versteht. Also erkläre ich der interessierten Runde die Unterschiede der Arbeiterinnen, der Drohnen und der Königin. Und dass bei den Bienen die Mädchen entscheiden, ob sich ein Ei zu einer Arbeiterin, einer Drohne und sogar zu einer Königin entwickelt. Das ist eine gute Gelegenheit, unser Mitbringsel aus Deutschland zu verteilen.
Raphaela ist ja Imkerin und hat einen Schwung Honig von den Bienen aus unserem Garten mitgebracht. Damit alle einmal kosten können, bekommt jeder einen Klecks auf die Hand. Das hört sich einfach an, ist aber bei 200 Kindern eine durchaus wuselige Angelegenheit.
Gegen Ende des Tages diskutiere ich noch mit Eddy und seinem Vater über das Programm der nächsten Tage. Der ursprünglich geplante Ablauf funktioniert nicht, da weitere Termine für uns dazugekommen sind und die Jahresabschlussparty verlegt wurde. Anstatt in vier Tagen in den Westen aufzubrechen, um den Queen-Elizabeth-Nationalpark und einige kleinere, lokal betreute Projekte in der Region zu besuchen, muss dieser Teil unserer Reise verkürzt und ans Ende unserer Zeit in Uganda gelegt werden. Das hat wenigstens den Vorteil, dass ich morgen nicht sofort mit den verschiedenen Mietwagenfirmen verhandeln muss, und ich darüber hinaus länger Zeit habe, die besonderen Verkehrsanforderungen vor Ort zu lernen.
Zum Abendessen gibt es Kartoffeln, Reis und Matoke. Und das einzige Mal bis zur großen Abschlussparty eine dunkle Soße mit etwas Rindfleisch. Auch sehr lecker. Danach ist bei uns endgültig der Ofen aus. Es ist kaum zu glauben, es ist immer noch der erste Tag. Wir sind irgendwie 36 Stunden auf den Beinen, und die heutigen Erlebnisse gehen auf keine Kuhhaut. Das war der intensivste Tag unseres Lebens!
Wir verabschieden uns gegen 18 Uhr zur Bettruhe, obwohl es noch hell ist. Die kurze Wäsche mit kaltem Wasser erfrischt kurz, gerademal genug, um unsere Hütte einigermaßen moskitosicher zu verrammeln und unter das Moskitonetz zu schlüpfen. Die Luft ist immer noch unerträglich heiß, feucht und stickig, aber wir sind viel zu müde, um darüber nachzudenken...